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Ernst Wagner erläuterte die Struktur des Kompetenzrahmens und gab einen Ausblick auf zukünftige Vorhaben

Das Projekt „Europäischer Referenzrahmen für Visual Literacy“ (Common European Framework of Reference for Visual Literacy: CEFR_VL) entstand 2012/13 aus dem ENViL-Netzwerk (European Network Visual Literacy) heraus. Es wurde von der Europäischen Union seit 2014 finanziell unterstützt und fand in Budapest am 11. und 12. Februar seinen Abschluss.
Zur Tagung in Budapest (bestens organisiert von Gabriella Pataky)  kamen über 30 internationale ExpertInnen und über 60 ungarische LehrerInnen. Sie erlebten einen intensiven Tag voller Anregungen und Inspirationen.
Nach der Begrüßung stellte zunächst Ernst Wagner die wesentlichen Inhalte des Projekts vor. Der Referenzrahmen für “Visual Literacy” beschreibt Kompetenzen, die europäische Bürger im Bereich der Bildenden Kunst und der angewandten Künste (Architektur und Design) sowie der visuellen Alltagskultur haben sollten, wenn sie als mündige Bürger an Kultur und Gesellschaft teilhaben. Dafür – und das ist bislang einmalig in der Geschichte der bildnerischen Schulfächer in Europa – wurde dieser Bezugspunkt von führenden europäischen Experten auf der Basis einer empirischen Erhebung der europäischen Lehrpläne in langen, konsensorientierten Diskussionen erarbeitet. Ernst Wagner betonte, dass der nun vorgelegte Prototyp des Referenzrahmens ein Hilfsmittel und keine neue Reglementierung darstellt. Er ermöglicht, die jeweils eigenen, spezifischen Ansätze in Bezug auf einen gemeinsamen Bezugspunkt (den Referenzrahmen) zu bestimmen und darzustellen.

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Experte Darras wandte sich gegen die Dominanz der Sprache

Nach der Einführung in den Referenzrahmen kamen vier renommierte, internationale Experten zu Wort. Sie waren gebeten geworden eine ausführliche Stellungnahme zu dem Referenzrahmen abzugeben.

Bernard Darras, Professor für Semiotik an der Sorbonne, Paris schlug vor allem vor, die im Referenzrahmen alphabetisch aufgeführten Teilkompetenzen systematisch zu gliedern und dabei vor allem den Vernetzungsgedanken im Sinne der Medienwissenschaften stärker zu betonen. Darüber hinaus betonte er die Bedeutung des Unbewussten bei den im Referenzrahmen genannten Teilkompetenzen. Und er schloss mit einer augenzwinkernden Warnung: Der Begriff Literacy im Titel „Visual Literacy“ berge eine Gefahr. Durch ihn würde das Paradigma Sprache zu dominant; Bilder würden damit zu sehr zu „Texten“, die  „gelesen“ werden müssten. Damit würde die Dominanz der Sprache in der Gesellschaft, vor allem aber deren Vorherrschaft in der Schule, nochmals unfreiwillig verstärkt.

Victoria Pavlou, Mitglied des European Regional Councils von InSEA, die in Nicosia, Zypern an der Frederick University lehrt, war die zweite Expertin, die eingeladen war, den Referenzrahmen zu kommentieren. Sie stellte in ihrem Beitrag vor allem die Beziehung zu den „großen Konzepten“ wie die Europäischen Schlüsselkompetenzen oder den OECD 21st Century Skills her und betonte die Notwendigkeit, sich gerade in Bezug auf solche Konzepte zu positionieren. Als größte Stärken des vorgelegten Konzepts nannte sie die ausgearbeiteten Niveauskalen und die Nutzung eines situationsbezogenen Ansatzes. Neben einer Reihe ganz konkreter Hinweise zur Weiterarbeit betonte sie abschließend, dass es nun darauf ankäme:

  • den CEFR_VL in den europäischen Ländern zu implementieren,
  • – ihn dafür in verschiedene Sprachen zu übersetzen,
  • – Leitfäden für den Gebrauch des CEFR_VL zu entwickeln
  • – sowie den Framework durch empirische Daten zu validieren.

Martina Paatela-Nieminen (Finland), Mitglied des InSEA World Councils 2014-17, die am Department of Teacher Education in Helsinki lehrt, stellte in ihrem Beitrag  zunächst als besonders positive Tatsache heraus, dass der CEFR_VL empirisch fundiert ist und dass alle Beispiele und hier vor allem die Situationen aus der „heutigen Welt“ kämen. Ihre Anregungen gingen in Richtung einer stärkeren Stringenz in der Begrifflichkeit sowie einer besseren Begründung der Konzepte aus der Literatur heraus.

Kevin Tavin (USA), zur Zeit Professor für International Art Education an der Aalto University in Helsinki, beschloss die Runde der internationalen Gutachter. Er betonte – ähnlich wie Darras – die Notwenigkeit einer grundsätzlichen kritischen Reflexion des Gesamtansatzes. Z.B. sei es nicht nachgewiesen, das Visual Literacy als Konzept tatsächlich notwendig bzw. sogar richtig sei, da etwa Multimodalität ein zentraler Aspekt aller Bildwelten sei. Er stellte auch in einer klaren Analyse heraus, wie in den vorliegenden Texten des Referenzrahmens latent idealistische und humanistische Werte eingebettet seien, die selbst als solche nicht deutlich gemacht würden. Aus einer solchen grundsätzlichen Problematisierung heraus argumentierte er – im Sinne der Ideologiekritischen Position – für einen offenen Umgang mit den Kompetenzformulierungen, zumal deren logische Ordnung nicht zwingend sei. Vor allem eine stärkere Berücksichtigung der zeitgenössischen Kunst könnte jedoch helfen, die blinden Flecken des Konzepts besser zu sehen und in den Griff zu bekommen.

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Überzeugende Argumente: Carl-Peter Buschkühle

Unter dem Titel „The CEFR_VL goes to school: new methodologies, educational situations, assignments and assessment methods“ stellten Diederik Schönau, Carl-Peter Buschkühle, Franz Billmayer, Gabriella Pataky und Folkert Haanstra ihre Ergebnisse aus der Arbeit im Projekt vor. Zwei Fragestellungen waren dabei vorrangig: Wie können kompetenzorientierte Aufgaben gestellt werden? Und wie können solche Aufgaben zur Diagnose von erreichten Kompetenzen eingesetzt werden? Hier ging es um Nutzen des Referenzrahmens für die Anwendung im Unterrichtsalltag, die  deutlich sichtbar und begreifbar wurde.
Die wichtigsten Ergebnisse des Projekts finden sich auf der Envil-Website  Sie werden darüber hinaus ausführlich in einem Buch, das im Juni 2016 bei Waxmann (Münster/New York) erscheinen wird, vorgestellt.

Impressionen

 

 

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DIE ZUKUNFT

Mit dem Abschluss des Projekts stellte sich in Budapest auch die Frage, wie es mit dem Netzwerk und den erarbeiteten Ergebnissen weitergehen wird. Um diese Diskussion vorzubereiten haben wir mit dem letzten Newsletter einen Fragebogen verschickt. Er sollte die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit und die Interessen abzufragen. Vielen Dank an alle, die sich auf diesen Fragebogen zurückgemeldet haben! Der Rücklauf war mit 18 positiven Meldungen aus der unmittelbar aktiven Kerngruppe des Comenius-Konsortiums und weiteren 44 positiven Meldungen aus dem weiteren ENViL-Kontext außerordentlich erfreulich.

Getragen von diesem großen Interesse hat sich das vollständige, bestehende Board bereit erklärt, für die nächsten beiden Jahre weiterzumachen: Franz Billmayer (Österreich), Folkert Haanstra (Niederlande), Gabriella Pataky (Ungarn), Ernst Wagner und Kati Zapp (Deutschland). Erweitert wird der Kreis um Christiane Herth (Frankreich), die ab Mai auch die Aufgabe als Koordinatorin und Sprecherin des Boards übernehmen wird.